Urteile zu Berufskrankheiten

Der lange Weg zur Anerkennung einer Berufskrankheit oder Erwerbsunfähigkeit

Unten finden Sie relevante Entscheidungen aus dem BK- Recht oder aus dem Rentenrecht (Erwerbsminderung und -unfähigkeit)
  • LSG Bayern, Az.: L 10 U 144/88
In einem Grundsatzurteil hat das LSG Bayern mit Urteil vom 13.12.1989 entschieden: "Für eine Berufskrankheit sind toxische Belastungen, die nach allgemeinen medizinischen Massstäben den für die Gesundheit ermittelten Grenzwert überschritten, auch ausreichend, wenn die Belastungen als arbeitsmedizinisch tolerierbar angesehen werden. LSG Bayern, Az.: L 10 U 144/88, Orientierungssatz, Lo- E 445/EzS 82, Januar 1994

BK 1302 oder 1102

Stuttgart/Mannheim, 07.02.2006. Quecksilber-/halogenkohlenwasserstoffkranker Laborchemiker wird 16 Jahre nach seiner Berufsaufgabe rückwirkend seit 1990 mit 40 % berentet (SG Mannheim, 9.Kammer Vergleich vom 07.02.2006). Im Gutachten wurden die neueren Erkenntnisse zur Einwirkung mehrerer Schadstoffe berücksichtigt.
Die Fragen des Gerichts an den Gutachter wurden wie folgt beantwortet:

Welche Synergieeffekte bestehen zwischen der beruflichen Schadstoffbelastung mit Halogenkohlenwasserstoffen, Quecksilber und durch organische Lösemittel ?

Das ist wissenschaftlich nicht zu differenzieren, da das Zentralnervensystem Zielorgan aller Schadstoffe ist.

Ist es daher (überwiegend) wahrscheinlich, dass erst das Zusammenwirken dieser Berufsschadstoffe dazu geführt hat, dass das Krankheitsbild des Klägers ausgelöst bzw. verschlimmert wurde ?
Es gibt keine wissenschaftlichen Argumente, dass erst das Zusammenwirken von Lösemittel und Quecksilber das Krankheitsbild ausgelöst haben. Eine Verschlimmerung durch das Zusammenwirken kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Jeder Einzelwirkung kommt so viel Eigenbedeutung zu, dass jede Einzeleinwirkung rechtlich wesentlich ist und somit die BK Nr. 1102 (Hg), BK Nr. 1302 bzw. BK Nr 1317 (Lösungsmittel und deren Gemische) zutreffen.
........
Vertretung : Hans-Peter Herrmann (Herrmann, Hübler & Partner Rechtsanwälte Stuttgart)

Insektizidvergiftung eines Bandtechnikers einer Schokoriegelfabrik, Vollrente durch Landessozialgericht NRW bestätigt.

Stuttgart/ Essen 13.01.2006

Fünf Jahre nach dem obsiegenden Urteil des Sozialgerichts Düsselorf hat das Landessozialgericht das obsiegende erstinstanzliche Urteil bestätigt. Die Rentenversicherung NRW war gegen das Urteil mit der Berufung vorgegangen. Der - anerkannt - pestizid-berufskranke (TE II b; PNP; MCS) Kläger erhält die erstinstanzlich zugesprochene Vollrente jetzt nachbezahlt und künftig laufend, das Gericht hat der beklagten Landesversicherungsanstalt in der mündlichen Verhandlung nahegelegt, die Berufung zurückzunehmen. Die Beklagte tat dies ohne weiteren Kommentar.
Im schriftlichen Verfahren hatte die Beklagte noch Stellungnahmen ihrer medizinischen Berater vorgelegt, die den Kläger als erwerbsfähig ansahen.
Diese Stellungnahmen wurden darauf gestützt, dass der Kläger in zwei REHA-Aufenthalten der Berufsgenossenschaft (die BG-Akten wurden beigezogen) bessere Werte bescheinigt bekommen hatte. Der Senat folgte jedoch der klägerischen Argumentation, dass die unter besonders geschützten und erholsamen Bedingungen (z.B. Ostseeklinik Damp) durchgeführten Untersuchungen keine verlässliche Aussage über den unter Alltagsbedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes anzutreffenden Zustand des Klägers zulassen. Es folgte daher dem gerichtlich erholten Sachverständigengutachten, das eine Resterwerbsfähigkeit von 3 bis 4 Stunden an einem Spezialarbeitsplatz maximal für möglich hielt.

Das nachfolgende Urteil wurde daher rechtskräftig:


Stuttgart, den 15.12.2000
Unser Zeichen: 00101-97


Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 13.12.2000
Az.: S 5 RJ 116/99


LVA Rheinprovinz wegen Erwerbsunfähigkeitsrente (Intoxikationserkrankung (BK 1307)
(n.rkr)

Aus dem Protokoll : " Der Kammervorsitzende weist auf folgendes hin:
Nach seiner Auffassung kann es dahinstehen, ob der Kläger Berufsschutz als Facharbeiter genießt. Nach den eingeholten berufskundlichen Unterlagen, insbesondere den nachgereichten Arbeitgeberauskünften und den Arbeitsplatzbeschreibungen als..., kann davon ausgegangen werden, daß der Kläger jedenfalls dem Angelernten im oberen Bereich zuzuordnen ist. Dies spiegelt sich auch in seiner Lohnhöhe wieder. Als angelernter des oberen Bereichs kann der Kläger nicht auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, sondern nur auf solche, die sich durch eine gewisse Qualifikation, insbesondere durch eine gewisse betriebliche Ausbildung auszeichnen. Nach dem eingeholten, insbesondere des psychologischen Gutachtens ist jedoch davon auszugehen, daß der Kläger nur noch geringen Anforderungen an das Konzentrationsvermögen, der Raumvorstellung, der Merkfähigkeit und der Aufmerksamkeit gewachsen ist.
Daraus ist nach Auffassung des Kammervorsitzenden zu schließen, daß er eine betriebliche Einarbeitungszeit für eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes im unteren Bereich nicht in der dafür üblicherweise vorgesehenen Zeit zu bewältigen vermag. Im Hinblick darauf ist ihm also ein entsprechender Verweisungsberuf im ungelernten Bereich nicht zumutbar. Die Verweisungstätigkeiten, etwa der Telefonist, oder der Pförtner an der Nebenpforte kommen für den Kläger nicht in Betracht, da hierzu sein Leistungsvermögen nicht ausreichend ist. Konzentration vermögen und Übersicht sowie Merkfähigkeit sind für die vorgenannten Berufe unerläßlich Voraussetzung. Daraufhin schließen die Beteiligten zur teilweisen Erledigung des Rechtsstreits folgenden Vergleich:

1. Die Beklagte verpflichtet sich unter Abänderung des Bescheides vom 29.07. 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.08.99 einen neuen Bescheid zu erteilen. Darin wird davon ausgegangen werden, daß der Kläger Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach einem Leistungsfall vom 14.04. 1997 nach den gesetzlichen Bestimmungen hat.
2...
3. Die Beteiligten stellen die Frage, ob der Kläger erwerbsunfähig ist zur Entscheidung des Gerichts.

Aus den Gründen des hierauf ergangenen Urteils:

Die zulässige Klage ist begründet...
..., weil der Kläger auch Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit hat.
Zur Überzeugung der Kammer ist der Kläger erwerbsunfähig i. S. des §§ 44 des sechsten Buches des Sozialgesetzbuches.
Nach dem Ergebnis der Begutachtung... leidet der Kläger an den im Tatbestand genannten Gesundheitsstörungen, auf die hier zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird.


(I . auf neurologischem Fachgebiet:
1.periphere neurotoxische Schädigung
2. Hirnorganische Schädigung nach berufsbedingter chronischer Exposition mit Chemikalien mit kognitiven Störungen

II. Diagnosen auf psychologischen Fachgebiet:
Erworbene Störung der kognitiven Funktionen im Rahmen einer cerebralen Schädigung mit Herabsetzung der Konzentrationsfähigkeit und der Fähigkeit zur Aufmerksamkeitsverteilung und Herabsetzung der Merkfähigkeit.

III. Diagnosen auf Orthopädischem Fachgebiet:
Cervikal Syndrom..
Verschleißveränderungen
Dorsalgie
Schultergelenksbeschwerden
Z.n.Luxation (Fingergelenk)
Erstgradiges Verschleißleiden der Kniescheibenrückseite
Sprunggelenk Beschwerden
Verkürzung der tonischen Beinmuskulatur...)

Diese Gesundheitsstörungen führen dazu, daß der Kläger nur noch in der Lage ist, ohne Schaden für die Gesundheit und ohne unzumutbare Schmerzen einig körperlich leichte Tätigkeit zu verrichten. Dabei muß der Sitzanteil bis zu 30 Prozent der täglichen Arbeitszeit betragen und der Kläger muß die Möglichkeit haben, den Zeitpunkt des sitzenden Anteils selbst wählen zu können. Darüber hinaus ist der Kläger nur noch geringen Anforderungen des Konzentrationsvermögens, der Raumvorstellung, der Merkfähigkeit und der Aufmerksamkeit gewachsen. Es ist von einer Minderung der Reaktionsfähigkeit und Übersicht auszugehen. Die Kammer folgt der Einschätzung der Sachverständigen...

Dabei ist zunächst zu bedenken, daß der Kläger vollschichtig nur eine Tätigkeit ausüben kann, die es ihm gestattet, den Sitzanteil, der wenigstens bei 30 Prozent liegen muß, selbst zu wählen. Bereits dieser Umstand führt zu einer nicht unerheblichen Reduzierung von Arbeitsstellen, die für den Kläger noch in Betracht zu ziehen wären. Gleichwohl muß unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes davon ausgegangen werden, daß Arbeitsstellen, die den vorgenannten Anforderungen gerecht werden, noch in hinreichend genügender Zahl zur Verfügung stehen. Der Kläger ist jedoch auf kognitivem Gebiet erheblich beeinträchtigt...
Diese Kriterien in Kombination mit der vorgenannten Einschränkung führen nach Auffassung der Kammer dazu, daß der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund seiner Gesundheitsstörungen nicht mehr vermittelbar ist..
Dabei ist ferner zu berücksichtigen, daß ausweislich der ärztlichen Bescheinigung von Dr. M. beim Kläger mit einer erheblichen Symptomatik (Mißempfindungen, Kopfschmerzen, Palpationen der Augenlider und verschiedener Muskelgruppen sowie Herzrhythmusstörungen) zu rechnen ist, wenn er Chemikalien ausgesetzt ist, die in ihrer Höhe von der Durchschnittsbevölkerung gut toleriert würden.
Auch diese Bescheinigung im Zusammenhang mit den medizinischen Unterlagen der Berufsgenossenschaft machen deutlich, daß die Verwendungsmöglichkeiten des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch im Hinblick auf die mögliche Exposition von Chemikalien drastisch eingeschränkt ist. Die Beklagte hat keine Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf die der Kläger noch zumutbar verweisbar wäre, benannt oder benennen können. Dies wäre aber im Hinblick auf die schwere gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers und daraus resultierende weitreichende Leistungseinschränkung erforderlich gewesen.

Auch für die Kammer ist, wie bereits dargelegt war, keine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes ersichtlich, die der Kläger noch zumutbar und unter betriebsüblichen Bedingungen auszuüben in der Lage wäre."...

Vertretung : Hans-Peter Herrmann (Herrmann, Hübler & Partner Rechtsanwälte Stuttgart)

Berufskrankheit bei Einwirkung mehrerer Schadstoffe-"Kombinationsschädigung"

V.i.S.d.P.: Joachim Kern, Hessisches Landessozialgericht, Steubenplatz 14, 64293 Darmstadt,( 06151/804338; Fax.: 06151/804558
E-Mail.: j.kern@lsg-darmstadt.justiz.hessen.de
Darmstadt, den 24. Mai 2004

Presseinformation
LSG zu Schadstoff-Belastungen am Arbeitsplatz
Gericht erweitert Versicherungsschutz

Das Hessische Landessozialgericht hat einen Anspruch auf Rente wegen einer gesundheitlichen
Schädigung zugesprochen, die durch verschiedene Schadstoffe am Arbeitsplatz ausgelöst worden ist: Während die Rechtsprechung bisher nur dann Leistungen aus der gesetzlichen Unfall-versicherung zuerkannte, wenn der Grenzwert eines bestimmten Schadstoffes überschritten wird, bejaht das Landessozialgericht (LSG) in der heute veröffentlichten Entscheidung auch dann einen Anspruch, wenn mehrere Schadstoffe zusammen in gleicher Weise schädigend wirken.
Im konkreten Fall gab das Gericht einer Witwe recht, deren Mann als Dachdecker am Arbeitsplatz
neben Asbest auch schädlichen Dämpfen von Heißteer und Heißbitumen ausgesetzt war. Er starb an Lungenkrebs. In erster Instanz war die Klage der Witwe auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgewiesen worden. Dieses Urteil wurde vom LSG aufgehoben. Voraussetzung für Leistungen aus der gesetzlichen Unfall-versicherung ist, dass bestimmte Schadstoff-Grenzwerte am Arbeitsplatz überschritten werden und diese Schadstoff-Belastung auch ursächlich für die Erkrankung war. Nach der bisherigen Rechtsprechung wurde eine Anerkennung als "Berufskrankheit" und damit ein Anspruch auf Entschädigung abgelehnt, wenn ein bestimmter Schadstoff unterhalb der Grenzwerte lag. Das LSG vertritt nunmehr die Ansicht, dass auch eine berufsbedingte Schadstoffkombinationen einen Anspruch auf Entschädigung begründen kann. Im Fall des Dachdeckers habe eine derartige "Kombinationsschädigung" den tödlichen Lungenkrebs verursacht, erklärte das LSG unter
Hinweis auf verschiedene Gutachten von medizinischen Sachverständigen..

(Hessisches Landessozialgericht Az. L 11/3 U 740/02 ZVW)

Ärztezeitung zum selben Fall:

Ärzte Zeitung, 06.10.2004

--------------------------------------------------------------------------------


Richter fassen Berufskrankheit bei Lungenkrebs neu
DARMSTADT (fst). Das Hessische Landessozialgericht hat der Witwe eines Arbeiters eine Rente zugesprochen, der an Lungenkrebs gestorben war, nachdem er jahrelang Belastungen durch mehrere krebserregende Stoffe ausgesetzt war.

Dieses kürzlich vom Bundessozialgericht bestätigte und damit rechtskräftige Urteil wird vom Hessischen Landessozialgericht als "bahnbrechend" bezeichnet. Denn das Berufskrankenrecht berücksichtigt bislang nicht gesundheitliche Mehrfachbelastungen, sondern ist monokausal ausgerichtet.

Im vorliegenden Fall hatte die Witwe eines an Bronchialkrebs gestorbenen Dachdeckers auf die Anerkennung einer Berufskrankheit geklagt. Die Berufsgenossenschaft hatte eine Entschädigung abgelehnt mit der Begründung, der Arbeitnehmer sei Dosiswerten ausgesetzt gewesen, die unterhalb der Grenzwerte gelegen hätten.

Dem widersprach das Landessozialgericht: Der Dachdecker sei einerseits gesundheitlich durch Dämpfe von Heißteer und Heißbitumen belastet gewesen. Andererseits sei er mit Schneidarbeiten an Asbestzementplatten beschäftigt gewesen. Nach Anhörung mehrerer Sachverständiger erkannte das Gericht, angesichts der als "Synkanzerogenese" bezeichneten Kombinationswirkung beider Gefahrstoffbelastungen müsse die Erkrankung des Dachdeckers wie eine Berufskrankheit gewertet werden.

Az.: Hessisches LSG, Urteil vom 31.10.2003, L 11/3 U 740/02 ZVW, Bundessozialgericht, Beschluß vom 15.06.2004, B 2 U 71/04 B

Anerkennungsbescheid BK 1307 Insektizidspray "Blattanex Spezial" Dichlorvos und Propoxur.

Württ.GUV V Az. BK 92.040004/100BK-Nr. 1307 Ursache DDVP Datum 20.09.94

Auf Anweisung unregelmäßig selbst ausgeführte regelmäßige Desinfektions- und Sprühtätigkeit einer hierfür nicht nicht ausgebildeten Tierpflegerin, Insektizidspray "Blattanex Spezial" Dichlorvos und Propoxur.

Anerkannte Folgen :
PNP, Hirnperfusionsminderung, hirnorg. Psychosyndrom, Konzentrationssstörung, Muskelatrophie, Ataxie, Myastheniesyndrom, Autoimmunantikörper, Reduktion d. Allgemeinzustands.
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Hans-Peter Herrmann, Stuttgart

Anerkennungsbescheid Pyrethroide

LUK Hamburg Az. LUK91.34869 BK-Nr. 551 II RVO Ursache Pyrethroide Datum 23.02.95 /
Anerkannte Folgen :
Verschlechterung vorbestehender persistierender Leukozytose, Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit, diskrete Hirnatrophie auch im Kleinhirn, kernspingesicherte Lympadenopathia colli sowie eine Sinusitis ethmoidalis und frontalis, in den neurophysiologischen Untersuchungen gesicherte diskrete Zeichen einer älteren neurogenen Läsion ohne klinische Hinweise für eine Polyneuropathie.
Vertretung: selbst

"toxische BK", Urteil § 551 II RVO

Sozialgericht Stuttgart Urteil vom 17.03.1994 Az.unbekannt Württ.GUVV BK-Nr. § 551 II RVO/Ursache toxisch "toxische BK" 60 %

Anerkannte Folgen: nicht bekannt
Vertretung: Gewerkschaft

Anerkennungsbescheid BK 1307 Pestizidvernebelung in Süsswarenindustrie

BG GroLa Mannheim Az.: E1/02620/966 BK 1307/ Ursache 6 x /Jahr Exposition gegen Chlorpyrifos u.a. Datum 13.03.2000
35 % berufsbedingte MdE/Rente
Anerkannte Folgen: Enzephalopathie Grad II mit neurasthenischem Syndrom und leichte Ermüdbarkeit und allgemeiner muskulärer Schwäche, Einschränkung der Gedächtnis- und Konzentrationsleistung sowie depressiver Verstimmung, Sensibilisierung gegenüber Gerüchen und Schadstoffen, insbesondere Pestiziden.
Als Folgen nicht anerkannt: Alopezia areata, rezidivierendes Ekzem der Haut.

Vertretung: RA Hans-Peter Herrmann (Herrmann, Hübler & Partner Stuttgart)

Kombinationswirkungen von Pestizidvernebelung

Sozialgericht Mainz S 8 U 51/95
Klägerin gegen BG Einzelhandel Bonn
BK 1307 Exposition gegen Pestizidvernebelung
Datum 30.11.2000 (n.rkr)
Folge: Enzephalopathie II, 30 % MdE/Rente

Die 8. Kammer des Sozialgerichts Mainz hat die BG Einzelhandel Bezirksverwaltung Bonn unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide (1995) zur Anerkennung einer BK 1307 (organische Phosphorsäureester) und zur Entschädigung einer 14 Jahre in einem Kaufhaus in I-O als Textilverkäuferin tätigen Frau aufgrund einer MdE von 30 % (u.a.Enzephalopathie Grad II) verurteilt. Die Klägerin hat nachgewiesen, daß im Kaufhaus jahrelang 5-7 mal jährlich Insektizidmischungen der Gruppen Organophosphate und Pyrethroide ohne Information der Belegschaft und ohne Sicherheits- und Dekontaminierungsmaßnahmen ausgebracht worden waren. Das Sozialgericht hat mittels toxikologischen Sachverständigengutachten die Ursächlichkeit dieser jahrelang wiederholten Exposition in berufskrankheitsrechtlich erheblicher Weise bestätigt .
Aus dem Urteil:
"..entscheidend ist, dass durch die Wirkungsweise der Organophosphate stets das zentrale Nervensystem betroffen ist, so daß insbesondere die Enzephalopathie, wenn sie durch organische Phosphor-Verbindungen hervorgerufen wurde, als Berufskrankheit nach der Listen-Nr. 1307 anzuerkennen ist. Zu berücksichtigen ist schließlich noch, daß Organophosphate durch die Reaktion mit Cholinesterase oder durch andere metabolische Prozesse schnell abgebaut werden können im Organismus, so daß meist nur ein sehr kleiner Teil unverändert im Urin ausgeschieden wird. ....
Sowohl die arbeitstechnischen, als auch die medizinischen Voraussetzungen einer so zu umschreibenden Berufskrankheit sind bei der Klägerin erfüllt.
Daß die Klägerin in der Zeit zwischen 1979 bis ins Jahr 1994 hinein einer versicherten Tätigkeit i. S. des Entschädigungsrechtes nachgegangen ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. ..

Aufgrund dieser Tätigkeit war die Klägerin im genannten Zeitraum, insbesondere jedoch ab 1983, das ist der Zeitpunkt, ab dem schädliche Maßnahmen in der Filiale I-O durch die Firma M aus Kaiserslautern nachweisbar ist, einer schädigenden Einwirkungen i. S. der hier zu diskutierenden Berufskrankheit nach Ziff. 1307, nämlich einer Einwirkung durch chlororganische Phosphorverbindungen, ausgesetzt. Die Exposition der Klägerin gegenüber chlororganischen Phosphor- Verbindungen bestand hier darin, daß - und dies ist unstreitig - bei den Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen im Bereich der Filiale die Substanzen Dichlorvos und Chlorpyrifos eingesetzt wurden. Dass auch die Klägerin den genannten Substanzen ausgesetzt war steht nach voller richterlicher Überzeugung fest; die Frage, ob die Exposition relevant oder irrelevant ist, ist in diesem Zusammenhang zunächst nicht von Bedeutung, da die Relevanz einer Einwirkung im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung zwischen der Einwirkung und der Entstehung des Gesundheitsschadens zu würdigen ist und daher diesbezüglich (auch nur) der Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzulegen ist. Bei der hier zunächst vorzunehmenden Feststellung, daß die Klägerin auch gegenüber den chlororganischen Phosphorverbindungen wie Dichlorvos und Chlorpyrifos exponiert war, läßt sich die erkennende Kammer davon leiten, daß - wie in der Rechtsprechung allgemein anerkannt ist (vgl. BGHZ 255) - sich " der Richter... in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen" muß und darf, " die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen." Das bedeutet, daß nicht eine jede denkbare Möglichkeit ausschließende Gewißheit erforderlich ist, sondern lediglich ein der Gewißheit nahekommender Grad der Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 45, 258; 61, 127, 128). Dies ist hier hinsichtlich einer Exposition der Klägerin gegenüber Dichlorvos und Chlorpyrifos der Fall. Die Kammer stützt sich bei dieser Betrachtung sowohl auf die Feststellungen des Instituts., wie sie in einer Stellungnahme vom 14 Januar 1994 zusammengefaßt sind, aber auch auf die entsprechenden Ausführungen im Sachverständigengutachten von Prof. Dr. W vom 13 Januar 1999.. ...

Daß die Klägerin chlororganischen Phosphorverbindungen wie Dichlorvos und Chlorpyrifos ausgesetzt war ergibt sich bereits daraus, daß derartige Stoffe in den von der Firma... seit 1983 im Bereich der Filiale ... verwendeten Schädlingsbekämpfungsmitteln, insbesondere dem Mittel Detmol-Dur, enthalten waren. Diese Schädlingsbekämpfungsmittel wurden am Arbeitsplatz der Klägerin, d. h. der ..-Filiale ca. vier bis siebenmal pro Jahr eingesetzt. Dieser Einsatz geschah in der Weise, daß bis 1993 die Substanzen üblicherweise nach Geschäftsschluß ausgebracht wurden und sodann die Lüftung abgeschaltet wurde. Die Lüftung wurde erst am anderen Morgen wieder eingeschaltet, so daß die Substanzen über Nacht einwirken konnten. Die Kammer ist weiterhin davon überzeugt, daß auch, nachdem die Klägerin an einem Morgen nach einer Bekämpfungsaktion das Kaufhaus wieder betreten hat, noch Restbestände der hier in Rede stehenden Substanzen vorhanden waren. Die Kammer schließt sich auch insoweit der Ansicht von Prof. Dr. W an, daß nämlich - entgegen den Stellungnahmen von Dr. Ba und dem Gutachten von Dr. Pr - die ausgebrachten Stoffe nicht innerhalb kürzester Zeit ihre Wirksamkeit verloren haben sondern weiterhin nachweisbar waren. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch..
Darüber hinaus ist festzustellen, daß eine Verteilung von Schädlingsbekämpfungsmitteln, die schwerpunktmäßig in einer Abteilung ausgebracht wurden, durch die Lüftungsanlage stattfinden konnte...
Abschließend ist daher davon auszugehen, daß die Klägerin Stoffen ausgesetzt war, die in der Lage sind, eine Berufskrankheit nach der Listen- Nr. 1307 hervorzurufen.
Dass zwischen der beruflichen Tätigkeit der Klägerin in der Zeit von 1979 bis 1994 in der Filiale... und der soeben beschriebenen Einwirkung ein ursächlicher Zusammenhang besteht, ist nach alledem ebenfalls hinreichend wahrscheinlich.

Daß die Klägerin einen gesundheitlichen Schaden aufweist, der dem Krankheitsbild einer Berufskrankheit nach der Ziffer 1307 entspricht, ergibt sich insbesondere aus dem im Rechtsstreit S 2 A 137/98 von Herrn Dr. von A. unter den 06. 01. 2000 erstellten Sachverständigengutachten. Dr. von A. kommt in dem genannten Gutachten unter kritischer Würdigung sämtlicher, auch im vorliegenden Verfahren eingeführten ärztlichen Stellungnahmen, insbesondere von Dr.B., von Dr.H. und von Frau Dr. Cl. , zu dem Ergebnis, daß bei der Klägerin eine Enzephalopathie Grad II (nach Triebig) mit den Symptomen einer emotionalen Labilität, einer Antriebsstörung, Veränderungen von Stimmung und Motivation, einer andauernden Beeinträchtigung der Persönlichkeit sowie einem Nachweis leichter kognitiver Leistungsminderung vorliegt (vgl. Blatt 34 und 43 des Sachverständigengutachtens). Die erkennende Kammer erachtet das Sachverständigengutachten von Dr. von A. als in sich schlüssig und nachvollziehbar. Es gründet sich insbesondere auch auf eine persönliche Untersuchung der Klägerin im Jahre 1999. Da bereits durch dieses Gutachten, auf dessen Argumentation zur Feststellung einer Enzephalopathie Grad II die Kammer zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verweist, eine Krankheit diagnostiziert, die dem Krankheitsbild der Berufskrankheit nach der Ziffer 1307 entspricht, ist eine weitere Würdigung sonstiger ärztlicher Befunde entbehrlich. Wichtig und erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß das genannte Gutachten von einem Mediziner stammt, der nicht in dem Verdacht steht, vorschnell eine durch Umweltgifte verursachte Schädigung des zentralen Nervensystems zu behaupten. Aufgrund dessen bedarf es auch keiner weiteren Würdigung der Befunde, die etwa durch Herrn Dr. B., durch Herrn Dr. H.. Frau Dr. Cl.sowie von Herrn Dr. Sch.vorgelegt wurden.

Ebenso ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der oben festgestellten Exposition der Klägerin gegenüber chlororganischen Phosphorverbindungen und dem Eintritt des Gesundheitsschadens i. S. einer Enzephalopathie Grad II festzustellen (haftungsausfüllende Kausalität). Als hinreichend wahrscheinlich, gilt ein entsprechender Ursachenzusammenhang dann, wenn bei einer vernünftigen Abwägung aller Umstände die auf eine berufliche Verursachung hindeutenden Faktoren so stark überwiegen, daß darauf die Entscheidung gestützt werden kann; eine schlichte Möglichkeit eines entsprechenden Ursachenzusammenhangs reicht dagegen nicht aus. Eine Möglichkeit verdichtet sich jedoch dann zu einer Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSGE 45,285,286, BSGE, Breithaupt 1963, 60, 61).

Für das Vorliegen eines entsprechenden Kausalzusammenhangs spricht sich der gerichtlich beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Wolf in seinem Sachverständigengutachten sowie in den von ihm in der Folge abgegebenen Stellungnahmen, dem sich im Ergebnis auch Dr. von A. in seinem Sachverständigengutachten vom 6. Januar 2000 anschließt, aus. Die erkennende Kammer schließt sich der Argumentation von Prof. Dr. Wolf an; die dagegen insbesondere von Dr. Pr, Dr. Ba und Dr. Sch vorgetragenen Einwände hält sie nicht für überzeugend.

Die Argumentation der Beklagtenseite kann dahingehend zusammengefaßt werden, daß jedenfalls eine relevante Exposition der Klägerin nicht vorgelegen habe, so daß auch entsprechende gesundheitliche Einbußen nicht auf den Umgang mit Schadstoffen zurückzuführen seien. Als wesentliches Argument wird von Seiten der Beklagten dafür angeführt, daß zwar im Bereich der Küche des Kaufhauses eine Belastung der Raumluft mit chlororganischen Phosphorverbindungen habe gemessen werden können;
...
Schließlich sei zu berücksichtigen, daß die Schadstoffe eine kurze Halbwertszeit hätten.
...
Was die Anwendung der sogenannten MAK-Werte angeht, folgt die erkennende Kammer der Argumentation von Prof. W, die - wie er dies auch nochmals in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat - diese Grenzwerte ohnehin nicht für anwendbar hält. Zu berücksichtigen ist auch, daß lediglich für den Stoff Dichlorvos ein entsprechender MAK Wert vorgesehen ist, nicht jedoch für die Substanz Chlorpyrifos. Zutreffend geht Prof. Dr. W davon aus, daß die Anwendung der MAK Werte nur dann in Betracht kommt, wenn mit den entsprechenden Stoffen produktionsbedingt oder im Wege einer Ausbringung umgegangen wird; dies war jedoch nicht der Fall. Zudem ist zu berücksichtigen, daß hier auch noch andere Schadstoffe zum Einsatz kamen nämlich Pyrethroide, so daß ein Substanz- Gemisch vorliegt, das die Ausrichtung auf einen, für einen einzigen Stoff vorgesehenen Grenzwert ausschließt.
...
Der Umstand aber, daß hier neben Dichlorvos und Chlorpyrifos weitere Schadstoffe aus der Gruppe der Pyrethroide eingesetzt wurden, führte nicht dazu, daß der relevante Kausalzusammenhang zwischen einer Exposition gegenüber chlororganischen Phosphor- Verbindungen und dem Auftreten entsprechender Krankheitserscheinungen, die die Berufskrankheit nach Ziff. 1307 erfordert, entfallen würde. Entscheidend ist allein, daß - so auch hier - letztlich die Gesundheitsschädigung in der Weise durch die chlororganischen Phosphorverbindungen hervorgerufen wurde, als diese dazu geeignet waren, die Acetylcholinesterase zu hemmen. Daß sich die übrigen Stoffe, nämlich die Pyrethroide dahingehend auswirken, daß die Wirkungsweise der chlororganische Phosphorverbindungen verstärkt wird, besagt nicht, daß dadurch ein entsprechender Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Gesundheitsschaden entfällt, denn letztlich sind es die chlororganischen Phosphorverbindungen, die hier zu dem Gesundheitsschaden führen. Auch dieser Aspekt ist noch einmal anschaulich durch den Sachverständige Prof. Dr. W im Rahmen der mündlichen Verhandlung erläutert und dargestellt worden, so daß die erkennende Kammer hier keinerlei Zweifel am Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber den chlororganischen Phosphorverbindungen und dem Entstehen der bei der Klägerin anzutreffenden Krankheitssymptome liegt.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch ferner, daß keinerlei Reserveursachen in Betracht kommen, die zur Entstehung der bei der Klägerin anzutreffenden Krankheitssymptome hätten führen können. Dies belegt auch, daß die zweifellos vorhandene Exposition gegenüber den chlororganischen Phosphorverbindungen ausreichend, d. h. relevant, gewesen sein muß, um die entsprechenden Krankheitswirkungen bei der Klägerin hervorzurufen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, daß insoweit seitens des Gerichts eine letztendliche (absolute) Sicherheit bezüglich der Einschätzung dieses Aspekts nicht gegeben sein muß, sondern für die Einschätzung insoweit der Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausreicht. Nach alledem ist es hier hinreichend wahrscheinlich, daß zwischen der Exposition und der Krankheit der Klägerin ein Kausalzusammenhang besteht, so daß vorliegend eine Berufskrankheit nach der Ziff. 1307 der Anlage 1 zur BeKV gegeben ist."

Vertretung: Hans-Peter Herrmann (Herrmann, Hübler & Partner Rechtsanwälte Stuttgart)

SG Koblenz v. 14.03.2007 Orientierung für Anspruchsteller nach BK 1317- Beweisanforderungen

( Az S 1 U 161-05)
Aus den Gründen: Die zulässige Klage ist unbegründet. Bei der Klägerin ist keine entschädigungspflichtige BK im Sinne der Nr. 1317 der Anlage zur BKV festzustellen.

Nach Eintritt eines Versicherungsfalles gewährt der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen nach den einschlägigen Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB) VII. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und BKen (§ 7 Abs. 1 SGB VII).
BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsvorordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Die Anerkennung einer BK setzt u.a. den Nachweis eines bestimmten Krankheitsbildes sowie der Verrichtung einer gesundheitsgefährdenden Berufstätigkeit voraus. Der Nachweis ist erbracht, wenn im Einzelfall nach Abwägung aller Umstände keine begründeten Zweifel mehr bestehen (= an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit). Der Ursachenzusammenhang zwischen gefährdender Tätigkeit und nachgewiesenem Gesundheitsschaden muss dagegen „nur“ hinreichend wahrscheinlich sein. Das ist der Fall, wenn nach Abwägung aller Umstände und unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung qualitativ mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht. Dabei gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Das heißt: Es genügt nicht, dass die gefährdende Tätigkeit im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne (Conditio sine qua non) zu einem bestimmten Gesundheitsschaden geführt hat; es muss vielmehr festgestellt werden, dass die gefährdende Tätigkeit im Vergleich zu berufsabhängigen Noxen zur Entstehung oder Verschlimmerung des verifizierten Krankheitsbildes wesentlich beigetragen hat. Lässt sich nach Ausschöpfung aller erreichbaren Beweismittel der erforderliche Kausalzusammenhang nicht feststellen, geht das nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Anspruchstellers (vgl zu alledem zB Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 128 Rn 3a bis 3c mwN, § 103 Rn 19a mwN; vgl zB auch BSG, Urteil vom 27.06.2006, Az: B 2 U 7/05 R).

Nach der Nr. 1317 der Anlage zur BKV kann eine Polyneuropathie oder eine Enzephalopathie als BK anerkannt und entschädigt werden, wenn eine solche Erkrankung auf den Einwirkungen organischer Lösemittel oder deren Gemische am Arbeitsplatz zumindest wesentlich mitursächlich beruht.
Nach Überzeugung der Kammer sind im Falle der Klägerin die Voraussetzungen dieser BK-Nummer nicht erfüllt.

Letztlich kann letztlich dahingestellt bleiben, ob bei der Klägerin überhaupt eine Polyneuropathie oder eine Enzephalopathie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (s.o.) verifiziert ist. In diesem Zusammenhang weist die Kammer ergänzend darauf hin, dass das der Klägerin von mehreren Ärzten bescheinigte MCS-Syndrom kein Krankheitsbild im Sinne der vorliegend streitigen BK-Nummer 1317 der Anlage zur BKV ist. Dies wird im Übrigen auch von der Klägerin eingeräumt.

Maßgebend für die gerichtliche Entscheidung ist, dass nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass die Klägerin im Rahmen ihres Berufslebens ausreichenden Einwirkungen von neurotoxisch wirkenden organischen Lösemitteln oder deren Gemischen ausgesetzt war.
Die Klägerin hatte zwar im Zeitraum ﷡﷡﷡﷡﷡ bis ﷡﷡﷡﷡﷡ (mit zeitlichen Unterbrechungen) in vielfältiger Weise Umgang mit Textilien. Dies ist im Tatbestand dieser Entscheidung im Einzelnen dargelegt worden (s.o.). Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin dabei auch chemischen Expositionen ausgesetzt war.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer BK im Sinne der Nr. 1317 der Anlage zur BKV ist jedoch allein entscheidend, ob und in welchem Umfang die Klägerin neurotoxisch wirkenden organischen Lösemitteln oder deren Gemischen ausgesetzt war. Die umfangreichen Ermittlungen der Beklagten haben jedoch ergeben, dass nur die Einwirkung eines einzigen neurotoxisch wirkenden organischen Lösemittels im Falle der Klägerin bewiesen ist: Es handelt sich um Ethanol (Spiritus). Dies hat die Präventionsabteilung der Beklagten mehrfach überzeugend und unwiderlegt ausgeführt. Der vom Gericht gehörte Sachverständige Prof. Dr. ﷡﷡﷡﷡﷡ hat dies ohne Einschränkung bestätigt. Die ansonsten von der Klägerin genannten Stoffe wie zB Formaldehyd, PCB, PCP, Azofarbstoffe (synthetische Farbstoffe), Fluorkarbonpolymere, Parafine, Aluminium-Zirkonsalze, Silikonfluorkarbonharze, Zinnchlorid, Natriumphosphat, Pestizide, u.a. Fungizide, Pyrethroide), die letztlich auch von der Neurologin und Psychiaterin Dr. K. aufgegriffen worden sind, sind keine neurotoxisch wirkenden organischen Lösemittel. Sie spielen deshalb bei der Frage, ob bei der Klägerin eine BK im Sinne der Nr. 1317 vorliegt, keine maßgebliche Rolle.