zivilrechtliche Fälle und Urteile

Zivilrechtliche Entschädigung und Haftung für Körperschäden durch Chemikalien

Entschädigung aus Unfallversicherungsvertrag (UV)2004, Insektizid-Besprühung

Sachverhalt: 2001 Insektizideinsatz auf italienischer Insel, Anspruchsteller wurde vom Gemeindesprühfahrzeug auf nackte Haut mit einer Sprühmischung aus Pyrethroiden, Organophosphaten und Bacillus Thuringiensis besprüht. Einwirkung über Haut und inhalativ (Sprühnebel) blieb zunächst wegen Geruchlosigkeit unbeachtet.

Folge : Symptome 1-2 Tage später, Schmerzen, Ausschlag,Fieber, Polymyalgie. Chron.: Vielzahl von Beschwerden, sämtliche Organe betreffend, rheumaartige Schmerzen, Hautausschlag, Schluckschmerzen, Nervenschmerzen (Unterschenkel und Füße bds.), Gangstörungen, Muskelspannungsdefizite, Koordinationsstörungen, Konzentrationsstörungen, instabile Gemütslage, Immunabwehrschwäche (Anfälligkeit gg.Pilze ).

Entschädigung aus UV-Vertrag war aufgrund Kausalitätszweifeln streitig. Nachweis durch mehrere Gutachten. Außergerichtliche Einigung auf MdE /BU 55% (78.600 Euro) bei Gesamterledigung.
Weiterverfolgung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen gegen italienische Haftpflichtversicherer (in Italien) läuft.
Im Schadensersatzrecht wird nahezu immer die Kausalität zwischen Einwirkung und Körperschaden bestritten. Und zwar von jedem, der Insektizide, Fungizide oder andere Chemikalien eingesetzt hat, oder der für diesen haftet. Es existiert eine sehr mächtige und mit gut bezahlter Personalmacht ausgestattete "Defense"- Phalanx, und zwar quer durch alle Institutionen, ob private Unternehmen, oder öffentlich-rechtliche Leistungsträger.

BGH VI ZR 372/95 Lackierbetrieb und Katzendreckgeruch

»Zu Umfang und Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, zu Beweiserleichterungen und zur Pflicht des Gerichts zur Ausschöpfung des Tatsachenvortrags und der Beweisangebote der Parteien im Hinblick auf die Voraussetzungen eines auf § 823 BGB sowie auf § 1 UmweltHG gestützten Schadensersatzanspruchs wegen Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Schadstoffemissionen aus einem Industriebetrieb.«BGH VI ZR 372/95

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Schadstoffemissionen in Anspruch.

Die im Jahre 1980 geborene Klägerin wohnte bis Ende Mai 1991 in der D.-Straße in O. Hiervon etwa 3 km entfernt betreibt die Beklagte zwei Lackieranlagen mit vier Lackierkabinen und eine weitere Lackieranlage mit einer Lackierkabine. Die Anlagen sind nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz bestandskräftig genehmigt. Die Abluft aus den Lackierkabinen wird über zwei Schornsteine abgeführt

Unstreitig im Laufe des Jahres 1990, nach Behauptung der Klägerin darüber hinaus bereits seit Dezember 1988 und noch im Frühjahr 1991, traten aus den Lackieranlagen erhebliche Geruchsemissionen aus, die sich mit dem Geruch von Katzendreck vergleichen ließen. Diese führten zu zahlreichen Beschwerden von Anwohnern im Umkreis des Unternehmens der Beklagten und hatten ihre Ursache in chemischen und Stoffwechselreaktionen in dem in einem geschlossenen Kreislauf geführten Waschwasser der Lackierkabinen.

..............
Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht hält weder die Voraussetzungen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs der Klägerin noch diejenigen eines Anspruchs nach den Bestimmungen des Umwelthaftungsgesetzes für nachgewiesen.
Es könne nicht festgestellt werden, daß die Verletzung der Gesundheit der Klägerin im Sinne von § 1 UmweltHG auf vom Lackierbetrieb der Beklagten ausgehende Umwelteinwirkungen zurückzuführen sei. Beweiserleichterungen kämen der Klägerin insoweit nicht zugute. Eine Ursachenvermutung aus § 6 Abs. 1 UmweltHG sei jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte einen bestimmungsgemäßen und störfallfreien Betrieb ihrer Anlage nachgewiesen habe; auch seien im Hinblick auf die Belastung der Luft mit Lösungsmitteln aus dem Straßenverkehr, dem Hausbrand und dem Kleingewerbe relevante Alternativursachen zur Schadensherbeiführung geeignet gewesen. Den ihr daher obliegenden Beweis einer Kausalität von Schadstoffemissionen der Beklagten habe die Klägerin nicht erbracht, zumal bei ihr bereits 1989 eine hochgradige Chemikalienüberempfindlichkeit im Hinblick auf Arbeitsmaterial im Schulunterricht aufgetreten sei.

Mangels Nachweises einer Ursächlichkeit aus den Anlagen der Beklagten ausgetretener Stoffe für die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und im Hinblick auf ein fehlendes Verschulden der Beklagten stehe der Klägerin auch kein Anspruch aus unerlaubter Handlung zu. D............

II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die Klageabweisung ist, sowohl im Hinblick auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch als auch auf mögliche Ansprüche aus dem Umwelthaftungsgesetz, von durchgreifenden Verfahrensfehlern beeinflußt.

1. Die Revision wendet sich in erster Linie gegen die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB. Sie rügt insoweit zu Recht, daß das Berufungsgericht entscheidungserheblichen Sachvortrag und Beweisantritt der Klägerin unter Verstoß gegen § 286 ZPO übergangen hat.

a) Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, daß im Rahmen eines auf unerlaubte Handlung gegründeten Anspruchs grundsätzlich der Geschädigte darzulegen und nachzuweisen hat, daß vom Unternehmen des Anspruchsgegners ausgehende Schadstoffemissionen die behauptete Rechtsgutsverletzung verursacht haben. Eine Beweiserleichterung für die Kausalitätsfrage im Einzelfall, ggf. auch eine Beweislastumkehr, kommt bei festgestellter Überschreitung der durch Verwaltungsvorschriften (auch durch die Bestimmungen und Auflagen im Rahmen einer Betriebsgenehmigung) festgelegten Emissions- und Immissionswerte in Betracht (vgl. hierzu Senatsurteil 146 f. m.w.N.). Die Revision beanstandet insoweit mit Recht, daß die Feststellung des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall seien die entsprechenden Werte nicht überschritten worden, vielmehr habe die Beklagte die ihr mit der Betriebsgenehmigung vorgegebenen Grenzwerte für Emissionen sogar unterschritten, nicht verfahrensfehlerfrei getroffen worden ist.
...........................

b) Jedoch auch dann, wenn man den im Berufungsurteil vertretenen Standpunkt zugrunde legt, der Klägerin komme in der Kausalitätsfrage keine Beweiserleichterung zugute, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Klägerin sei der ihr obliegende Kausalitätsnachweis nicht gelungen, von Verfahrensfehlern beeinflußt. Die Revision rügt auch insoweit zu Recht, daß das Berufungsgericht erheblichen Sachvortrag der Klägerin nicht berücksichtigt und Beweisangebote unzulässig übergangen hat.

aa) Die Klägerin hat zur Emissionsbelastung der Luft durch Schadstoffausstoß aus den Produktionsanlagen der Beklagten, zu Zeitpunkt, Art und Ausmaß ihrer körperlichen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen und zu dem von ihr insoweit angenommenen Ursachenzusammenhang substantiiert vorgetragen und den ihr möglichen Beweis durch Benennung von Zeugen und Berufung auf Sachverständigengutachten angetreten. Es darf dabei nicht außer acht gelassen werden, daß an die prozessualen Darlegungen einer Partei, die mangels besonderer eigener Sachkunde und ohne Kenntnis einzelner betrieblicher Abläufe zu den Zusammenhängen zwischen chemischen und physikalischen Vorgängen und von ihr hierauf zurückgeführten Rechtsgutsverletzungen teilweise nur Vermutungen in den Rechtsstreit einführen kann, keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senatsurteil vom 10. Januar 1995 VI ZR 31/94 - VersR 1995, 433, 434 m.w.N.).

bb) Die Klägerin hat - worauf die Revision zutreffend hinweist - im Berufungsrechtszug im einzelnen unter Beweisantritt zu einer bei ihr vorliegenden Vergiftung durch Lösungsmittel, Formaldehyd, Xylol, Thalliumsulfat, Toluol etc. und dazu vorgetragen, daß diese Stoffe im Rahmen der Produktionsvorgänge der Beklagten anfallen und in die Außenluft gelangen können. Sie hat ferner im einzelnen dargelegt, daß und zu welchen Zeitpunkten, beginnend im Dezember 1988 und endend im Mai 1991, Geruchsbelästigungen (Geruch nach Katzendreck oder nach Lösungsmitteln) im Bereich ihrer damaligen Wohnung aufgetreten seien, die sie auf die Produktionsanlagen der Beklagten zurückführt; sie hat auch die jeweils bei ihr aufgetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschildert. Ihren gesamten Vortrag hat sie unter umfangreichen Zeugenbeweis gestellt; dafür, daß ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die Emission der von ihr genannten Schadstoffe aus den Produktionsanlagen der Beklagten zurückzuführen seien, hat sie sich auf die Einholung eines medizinischen und toxikologischen Sachverständigengutachtens berufen. Diese Beweisangebote hätte das Berufungsgericht nicht wie geschehen übergehen dürfen.

cc) Einer Ausschöpfung der von der Klägerin angetretenen Beweise war das Berufungsgericht nicht wegen der Bekundungen des bereits erwähnten Zeugen G. sowie derjenigen des Mitarbeiters der Beklagten Dr. H. und der - bruchstückhaften - urkundenbeweislichen Verwertung gutachtlicher Äußerungen aus dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren enthoben.
.....
Die vom Berufungsgericht zu den Geruchsbelästigungen und ihrer Ursache getroffenen Feststellungen vermögen allein die von der Klägerin behaupteten Zusammenhänge zwischen Schadstoffemissionen und ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht auszuräumen; vielmehr muß insoweit unter Einholung sachverständigen Rats dem Vortrag der Klägerin nachgegangen werden, die aus den Produktionsanlagen der Beklagten ausgetretenen Emissionen hätten über die Geruchsbelästigung hinaus gesundheitsbeeinträchtigende chemische Stoffe in den Wohnbereich der Klägerin zugeführt.

b) Eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Kausalität von Schadstoffemissionen der Beklagten für die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin war auch nicht im Hinblick auf eine mögliche Duldungspflicht der Klägerin gemäß § 906 Abs. 1 und Abs. 2 BGB oder auf ein mangelndes Verschulden der Beklagten bezüglich des Schadstoffausstoßes entbehrlich. Denn die bisher getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen nicht den Schluß, daß eine deliktische Haftung der Beklagten an fehlender Rechtswidrigkeit der Immissionen oder an einem mangelnden Verschuldensnachweis scheitern müßte.

..................

2. Auch soweit sich die Revision gegen die Verneinung von Ansprüchen der Klägerin aus dem Umwelthaftungsgesetz wendet, rügt sie zu Recht, daß die Ausführungen im Berufungsurteil auf Verfahrensfehlern beruhen

a) Zu der Frage, ob und in welchem Umfang die von der Klägerin behaupteten Schäden im Sinne des § 23 UmweltHG nach dessen Inkrafttreten am 1. Januar 1991 verursacht worden sind und daher der (auf den Ersatz materieller Schäden beschränkten) Gefährdungshaftung nach § 1 UmweltHG unterfallen können, trifft das Berufungsgericht keine Feststellungen. Es ist daher im Revisionsrechtszug der Vortrag der Klägerin zugrunde zu legen, daß die behaupteten Schadstoffemissionen aus den Lackieranlagen der Beklagten auch in den ersten Monaten des Jahres 1991 angehalten haben und auch in diesem Zeitpunkt die von der Klägerin hierauf zurückgeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen eingetreten sind.

b) Das Berufungsgericht geht rechtlich beanstandungsfrei davon aus, daß es sich bei den Lackieranlagen der Beklagten um Anlagen im Sinne des § 1 UmweltHG handelt, die Emissionen an die Umwelt abgeben. Bei seiner Beurteilung, es könne nicht festgestellt werden, daß die Verletzungen der Gesundheit der Klägerin auf von dem Lackierbetrieb der Beklagten ausgehende Umwelteinwirkungen zurückzuführen seien, hat das Berufungsgericht jedoch entscheidungserheblichen Sachvortrag und Beweisangebote der Klägerin übergangen.

aa) Das Berufungsgericht zieht bei der Prüfung der Kausalitätsfrage zu Recht die Regelung über eine Ursachenvermutung nach § 6 Abs. 1 UmweltHG heran.
.............
bb) Das Berufungsgericht hält die Anwendung des § 6 Abs. 1 UmweltHG deshalb für ausgeschlossen, weil die Produktionsanlagen der Beklagten im Sinne des § 6 Abs. 2 UmweltHG bestimmungsgemäß betrieben worden seien. Dies greift die Revision mit Recht an.

E..............

Davon abgesehen durfte das Berufungsgericht von einem bestimmungsgemäßen Betrieb der Produktionsanlagen der Beklagten nicht ausgehen, ohne sich mit dem unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin auseinanderzusetzen, die Beklagte habe entgegen den Vorgaben des Genehmigungsbescheides bei der thermischen Nachverbrennung lösemittelhaltiger Abluftmengen statt einer vorgeschriebenen Mindestbrennraumtemperatur von 750 Grad Celsius lediglich eine solche von 700 Grad Celsius eingehalten, was zu erhöhter Schadstoffemission geführt habe. Dieses Vorbringen der Klägerin, das - wie oben (1. a) ausgeführt - bereits im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung hätte berücksichtigt werden müssen, ist auch im vorliegenden Zusammenhang erheblich; sollte die - hier beweispflichtige - Beklagte nicht ausschließen können, daß es an der Einhaltung der vorgeschriebenen Mindestbrennraumtemperatur mangelte, so könnte nicht von einem bestimmungsgemäßen Betrieb der Lackieranlagen im Sinne des § 6 Abs. 2 UmweltHG gesprochen werden. Diese Frage konnte das Berufungsgericht, das nicht über eigene Sachkunde verfügte, nicht ohne Einholung des - gegenbeweislich - von der Klägerin angebotenen Sachverständigenbeweises beantworten.

cc) Soweit das Berufungsgericht zum Ausschluß der Ursachenvermutung des § 6 Abs. 1 UmweltHG auf Alternativursachen verweist, die ebenfalls geeignet seien, den Schaden herbeizuführen (§ 7 Abs. 1 und Abs. 2 UmweltHG), bestehen auch gegen diese Überlegungen im Berufungsurteil durchgreifende rechtliche Bedenken, da sie nicht auf ausreichend tragfähigen Grundlagen in den getroffenen Feststellungen beruhen. .......................
Dabei ist auch zu bedenken, daß es vorliegend nicht allgemein um eine Emission organischer Verbindungen geht, die Klägerin vielmehr - worauf die Revision zutreffend hinweist - unter Beweisantritt die Emission einer Anzahl bestimmt bezeichneter chemischer Stoffe vorgetragen hat.

c).........................

Es gelten hier die Überlegungen entsprechend, die (oben 1. b) bereits zur Kausalitätsfrage im Rahmen deliktsrechtlicher Schadensersatzansprüche angestellt wurden. ............................

III.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. ...........
.Anmerkung Günter Hager JZ 1998, 358
BB 1997, 1605
BGHR BGB § 823 Abs. 1 Beweislast 26
BGHR BGB § 823 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 6
BGHR UmweltHG § 6 Abs. 2 Betrieb, bestimmungsgemäßer 1
BGHR UmweltHG § 7 Alternativursachen 1
DB 1997, 1971
DRsp I(145)459b
JZ 1998, 358
NJW 1997, 2748
VersR 1997, 1247
WM 1997, 2272
ZIP 1997, 1706

Holzschutzmittelurteil (Beseitigungs- und Schadensersatzanspruch)

Landgericht Ulm, 2.Zivilkammer, Urteil vom 30.07.1998 (rkr.) 2 O 44/98

für Recht erkannt:

Der Beklagte Ziff 2 wird im Wege des Versäumnisurteils verurteilt, mittels geeigneter Maßnahmen die durch die Aufbringung von Holzschutzmitteln durch den Beklagten Ziff. 2, insbesondere des Mittels "Sikkens M", entstandene Schadstoffbelastung in der klägerischen Dachgeschoßwohnung,..........zu beseitigen.

Es wird im Wege des Versäumnisurteil festgestellt, daß der Beklagte 2 verpflichtet ist, der Klägerin den materiellen Schaden zu ersetzen, die aufgrund der Sachverständigenfeststellung und Beurteilung und aufgrund der sachgerechten Beseitigung der Holzschutzmittelbelastungen in der klägerischen Dachgeschoßwohnung ..............entsteht.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldner die Beseitigung von Beeinträchtigungen, die durch eine fehlerhafte Sichtholzbalkenimprägnierung eingetreten sind, und die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für dadurch entstandene und entstehende Schäden.

Im Frühjahr 1991 baute der Beklagte 1 im Auftrag des Bauträgers "Die Hausfreunde GmbH" die im Wohnbereich sichtbaren Dachbalken in der jetzigen Wohnung der Klägerin ein. Zuvor hatte der Beklagte 2 auf dem Betriebsgelände des Beklagten 1 die vorher vom Beklagten 1 fertig gehobelten und geschnittenen Balken für den Dachstock dieser Wohnung mit dem Holzschutzmittel Sikkens M imprägniert, obwohl der Beklagte 2 hätte wissen müssen, daß die Balken im Wohnbereich sichtbar sein werden. Am 17. 8.1995 kaufte die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann vom Voreigentümer die Wohnung und zog anschließend ein.
Nach dem Einzug in die Wohnung stellten sich bei der Klägerin Gesundheitsbeschwerden ein, die vorher nicht vorhanden waren. Nach einem Arztbesuch im Frühjahr 1997 bescheinigt ihr der Arzt, daß das Krankheitsbild der Klägerin zu einer chronischen Pestizidbelastung passe und kein Anhaltspunkt für andere Ursachen vorliege.

Die Klägerin ließ daraufhin Holzproben aus den Dachbalken ihrer Wohnung entnehmen, die ein chemische Labor untersuchte. Das Gutachten stellte einen über dem Durchschnitt liegenden Wert von Dichlofluanid fest, ebenso wurden hohe Werte von Permethrin festgestellt. In Empfehlungen des Bundesgesundheitsamtes und des Herstellers des Holzschutzmittels heißt es, Holzschutzmittel mit Dichlofluanid nicht großflächig in Innenräumen zu verwenden. Der Beklagte 2 hat inzwischen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt.

.................

Entscheidungsgründe:
A. Zulässigkeit

I
Der Klageantrag 1 ist ausreichend bestimmt, da den Beklagten die Möglichkeit bleiben muß, unter verschiedenen tauglichen Maßnahmen, die die gleiche Wirkung haben, wählen zu können. Es ist nicht ersichtlich, daß nur eine bestimmte Maßnahme ernsthaft in Betracht kommt (vgl. Münchener Kommentar -Medicus, 3. Auflage, § 1004 Rand Nr. 86)

II
Der Klageantrag 2 ebenfalls zulässig, da der Klägerin momentan eine genaue Bezifferung ihres Schadensersatzanspruchs nicht möglich ist. Aufgrund der noch andauernden Beeinträchtigung und der noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung ist es zulässig, insgesamt eine Feststellungsklage zu erheben, selbst wenn bestimmte Schadensersatzansprüche bereits bezifferbar wären (vgl. BGH NJW 1984, Seite 1555,VersR 1991, Seite 788).

B. Begründetheit

I
Aufgrund des schlüssigen Vortrags der Klägerin war der Beklagte 2 aufgrund seiner Säumnis gemäß §§ 331 ZPO antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu verurteilen.
II
Die Klage gegen den Beklagten 1 hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

a. Ein Anspruch aus §§ 1004 BGB auf Beseitigung der Beeinträchtigung des Eigentums scheidet aus, da die Klägerin die Eigentumswohnung bereits vorbelastet übereignet bekam und deshalb zum Zeitpunkt der Übereignung die Substanz des Eigentums bereits beeinträchtigt war (vgl. BGHZ 39, Seite 366).

b. Die Klägerin kann auch keine Beseitigung der Beeinträchtigung durch die fehlerhaft imprägnierten Dachbalken aufgrund eines quasinegatorischen Beseitigungsanspruch in analoger Anwendung der §§ 1004,802,12,823 Abs. 1,823 Abs. 2 i. V. m. §§ 230 StGB, § 1 ProdHaftG wegen der Verletzung ihrer Gesundheit verlangen. (wird weiter ausgeführt).

Kl.-Vertretung:
Hans-Peter Herrmann (Herrmann, Hübler & Partner Rechtsanwälte Stuttgart)











Ein Skandalurteil wird aufgehoben, Prozess gelungen, Mandant tot

OLG Stuttgart, 8. Zivilsenat 8 W 681/99 -1 T 72/99 LG Tü.,- 3 M 1203/99 AG Urach

Beschluß vom 19. Januar 2000

In der Zwangsvollstreckung Sachen der Gemeinde....
- Gläubigerin/Beschwerdegegnerin -

gegen
A B .
- Schuldnerin/Beschwerdeführerin -

wegen:

Räumung und Herausgabe,
hier: wegen Antrags gemäß Paragraph 765a ZPO

hat der 8.Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am OLG Dr. Foth
des Richters am OLG Dr. Loos und
des Richters am OLG Grüßhaber

beschlossen:

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Schuldnerin wird die Beschwerdeentscheidung der ersten Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 30. 11. 1999

aufgehoben

und das Verfahren zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Tübingen, daß auch über die Kosten des Verfahrens dieser sofortigen weiteren Beschwerde zu entscheiden haben wird,
zurückverwiesen.

Gründe:

Die sofortige weitere Beschwerde der Schuldnerin ist statthaft und auch ansonsten zulässig. Insbesondere liegt trotz der inhaltlich übereinstimmenden Entscheidungen der Vorinstanzen ein neuer selbständiger Beschwerdegrund im Sinne von §§ 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO vor, da die Beschwerdentscheidung des Landgerichts auf einem wesentlichen Verfahrensverstoß beruht.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht.

1.
Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig.
Das Landgericht hat das dort am 29. 11. 1999 eingegangene amtsärztliche Gutachten vom 26. 11. 1999 - offenbar ohne den Parteien hiervon eine Abschrift zuzuleiten - in seinem nur einen Tag später erlassenen Beschluß verwertet. Hierbei hat das Landgericht im übrigen den Inhalt des Gutachtens in einer Weise gewürdigt, die dessen Wortlaut zuwider läuft, ohne sich für diese Auslegung des Gutachtens nochmals durch Rückfrage bei der das Gutachten erstellenden Amtsärztin zu vergewissern und ohne den Parteien, insbesondere ohne der Schuldnerin, zu deren Lasten die vom Landgericht vorgenommene Auslegung geht, Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu zu geben. Das Landgerichts kam hierbei trotz gegenteiligen Wortlauts des amtsärztlichen Gutachtens, wonach " eine rasche, erzwungene Veränderung des gewohnten und als gerade noch zur Aufrechterhaltung des extrem eingeschränkten Lebens geeigneten Wohnumfeldes durch Zwangsräumung ........aus amtsärztlicher Sicht und auch aus umweltmedizinischer Sicht Frau... nicht zuzumuten" sei,
zu dem Ergebnis, daß nach dem Gutachten die schlechte Gesundheit der Schuldnerin einem Umzug als solchen nicht entgegen stehe, zumal die Schuldnerin selber erklärt habe, daß sie gerne zum Auszug bereit sei, wenn ein für sie geeignetes Haus gefunden werde. Das Landgericht kommt weiter zu dem Ergebnis, aus dem Gutachten ergebe sich, " daß nicht die Räumung als solche zu einer massiven Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Schuldnerin führen würde, sondern nur der Umzug in ein Objekt, das die aufgeführten Kriterien nicht erfüllt".

Der Schuldnerin drohe daher nicht durch die Vollstreckungmaßnahme als solche eine Gesundheitsgefahr. Wie sich aus dem ärztlichen Gutachten ergebe, sei " die zentrale Frage nicht die Räumung als solche, sondern die Frage nach geeignetem Ersatzwohnraum".
Angesichts des Wortlauts des amtsärztlichen Gutachtens stellt die Vorgehensweise des Landgerichts ohne vorherige Einholung einer entsprechenden Äußerung der das Gutachten erstellenden Amtsärztin einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß und damit auch zugleich einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör der Schuldnerin dar. Außerdem verbietet sich nach Auffassung des Senats in einem Fall der hier vorliegenden Art angesichts der von der Schuldnerin behaupteten Erkrankung eine Aufspaltung, wie sie vom Landgericht vorgenommen wurde, in die möglichen Folgen der Zwangsräumung als solcher und die weiteren Folgen der sich hieran anschließenden anderweitigen Unterbringung der Schuldnerin. Das Landgericht hat ferner auch insoweit seiner Aufklärungspflicht (§ 278 Abs. 3 ZPO) nicht genügt und daher auch insoweit zugleich das rechtliche Gehör der Schuldnerin verletzt, als es das Vorbringen der Schuldnerin zu den von ihr bzw. von ihren Ehemann unternommenen Versuchen zur Erlangung einer geeigneten E. Wohnung als unsubstantiiert behandelt hat, obwohl die im Verfahren I.und II. Instanz nicht anwaltschaftlich vertretene Schuldnerin wiederholt erklärt hat, auf Anforderung des Gerichts könnten mehrere dicke Leitzordner mit Unterlagen zur Dokumentation der diesbezüglichen " unermüdlichen Bemühungen" der Schuldnerin vorgelegt werden und sie sich zum Beweis auf diese Leitzordner berief. Das Landgericht wäre insoweit gemäß § 278 Absatz 3 ZPO verpflichtet gewesen, die anwaltschaftlich nicht vertretene Schuldnerin zu substantiiertem Vortrag und zur Vorlage der Unterlagen aufzufordern.
Die vorerwähnten Verfahrensverstöße des Landgerichts stellen einen neuen selbständigen Beschwerdegrund i. S. von § 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO waren und eröffnen daher den Rechtszug zum Oberlandesgericht.



2.
Die sofortige weitere Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Angesichts der von der Schuldnerin behaupteten und immerhin durch mehrere ärztliche Atteste sowie durch die ärztliche Bescheinigung des Medizinaldirektors Dr. ... vom Sozialministerium Baden-Württemberg vom 05. 11. 1999 (BL. 73 d.A.) und durch das vom Landgericht eingeholten amtsärztlichen Gutachten vom 26. 11. 1999 () im wesentlichen bestätigten erheblichen Gesundheitsgefährdung der Schuldnerin bis hin zur Lebensgefahr, wären die Vorinstanzen zu besonders sorgfältiger Prüfung des Sachverhalts und zu einer eingehenden Abwägung der beiderseitigen Belange der Parteien in Zwangsvollstreckungsverfahren verpflichtet gewesen.

Die oben in 1 aufgezeigten Verfahrensmängel des Landgerichts führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht, das auch über die Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde zu befinden haben wird, zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung ( § 575 ZPO in Verbindung mit § § 565,539 ZPO in entsprechender Anwendung).

Dr.Foth Dr.Loos Grüßhaber

Vertretung OLG/LG Tübingen: Hans-Peter Herrmann (Herrmann, Hübler & Partner Rechtsanwälte Stuttgart) __________________________________________________________________________

Anm. des Berichtenden :
Der Schuldnerin war nach persönlicher Untersuchung bescheinigt worden, sie leide an einer amyotrophen Lateralsklerose mit auffälliger Schwäche.

Aus dem Gutachten: " Sie kann den Telefonhörer nicht halten. Sie kann nur noch beschränkte Zeit sitzen. Sie kann nicht mehr als einige Worte schreiben. Sie kann nicht mehr kochen, waschen, bügeln, putzen, einkaufen, sich selbst versorgen.
Sie hat extreme Schmerzen am ganzen Körper und besonders auch am Hinterkopf. Sie hat schwere Herzrhythmusstörungen (unregelmäßiger Herzschlag, was auf eine Herz- Schädigung hinweist). Bei der Auskultation waren neben den Herzrhythmusstörungen auch Doppelschläge zu hören.
Sie ist stark kälteempfindlich. Sie neigt dazu zu frieren und vor Schwäche gleichzeitig auch zu schwitzen. Sie leidet ständig unter Schmerzen. Sie verträgt aber keinerlei Schmerzmittel. Sie hat ständig entzündete Schleimhäute. Sie leidet selbst schon unter starken Schmerzen durch normale Bewegungen der Zunge im Mund. Die Haut der Lippen schält sich ab. Die Schleimhäute von Mund und Speiseröhre brennen. Das Brennen setzt sich durch den ganzen Magen-Darm -Trakt fort... schwarze Stühle, Koliken, Untergewicht, Muskelatrophie, deutlich ataktisches Gangbild, Durchblutungsstörungen, Schlafstörungen, Schmerzen in Händen und Füßen, Konzentrationsprobleme, Kurzzeit - Gedächtnis beeinträchtigt, Unverträglichkeit gegen Zeitungen, neue Möbel, Geräte, gegen neue Kleidung, gegen neue Wäsche, gegen Parfüm, Deos, Nahrungsmittel, Luftschadstoffe. Psychisch keine Hinweise auf Erkrankungstatsachen. Todesgefahr durch erzwungene, rasche Veränderung des Wohnumfeldes.

Das Landgericht Tübingen äußerte sich nach der Aufhebung seiner Entscheidung in der daraufhin anberaumten erneuten mündlichen Verhandlung kritisch gegenüber dem von ihm selbst erholten Gutachten, und vernahm die Gutachterin persönlich, die allerdings keinen Deut von ihren getroffenen Feststellungen abwich und die Todesgefahr mündlich nochmals bestätigte.
Mit Beschluß vom 23.03.2000 stellte das LG Tübingen daraufhin zwar die Zwangsräumung einstweilen ein, ordnete dann aber ein weiteres neurologisches Gutachten an, in dem überprüft werden sollte,
a) ob die diagnostizierte Lateralsklerose vorliegt,
b) ob diese, ggfls. in Kombination mit MCS (Chemikalienintoleranz) zu einer Todesgefahr für die Schuldnerin bei einer Zwangsräumung führe.

Die Räumungs-Schuldnerin beantwortete die erneute richterliche Inquisition selbst. Sie verstarb am 11.04.2000, bevor die neue Begutachtung oder die Zwangsräumung durchgeführt werden konnte.

Formaldehyd- Sachverständiger: Darf man auf Gefahren geringer Belastung der Raumluft hinweisen ?

Unlauterer Wettbewerb durch Warnung vor geringer Formaldehydbelastung im Innenraum ?

LG Karlsruhe O 144/97 KfH III,Urteil v. 24.06.1998

... ein Eingriff in diese Beurteilung eines Sachverständigen durch einen Sachverständigen mit Mitteln des Wettbewerbsrechts erscheint bereits grundsätzlich bedenklich..

...festzstellen ist, daß es einheitliche oder gar verbindliche Werte im Bereich der Formaldehydbelastungen nicht gibt,...

... kann es dem Sachverständigen nicht verwehrt sein, auf mögliche Gesundheitsbeeinträchtigungen bei entsprechenden Werten hinzuweisen...




Berufungsinstanz:
OLG Karlsruhe, OLG 6 U 61/98 :

... ... Entgegen der Ansicht des Klägers darf auf Gefahren, die von bestimmten Formaldehyd-Konzentrationen ausgehen können, nicht erst dann aufmerksam gemacht werden, wenn tatsächlich in der Mehrheit der Fälle eine Gesundheitsbeeinträchtigung bereits eingetreten ist. ...

Vertretung beide Instanzen: Hans-Peter Herrmann (Herrmann, Hübler & Partner Rechtsanwälte Stuttgart)

Toxische Sofas

Vereinigtes Königreich – Sammelklagen gegen britische Möbelhäuser wegen „toxischer“ Sofas aus China hatten Erfolg

Eine Sammelklage wegen Ledersofas, die mit toxischen Substanzen behandelt worden waren, wurde am 26. April 2010 vom U.K. High Court im Sinne der 1.650 Kläger entschieden: Je nach Schweregrad ihrer Gesundheitsbeeinträchtigungen wurde den Klägern Schadensersatz in Höhe von 1.175 bis 9.000 GBP (Pfund) zugesprochen.

Die Sofas waren in China von den Möbelproduzenten Linkwise und Eurosofa hergestellt und mit Beuteln, die das Fungizid Dimethyl Fumarate (DMF) enthielten, versehen worden. Da die Beutel vor dem Verkauf durch die britischen Möbelketten Argos, Walmsleys und Land of Leather nicht entfernt worden waren, dünsteten sie in den Wohnungen der Endverbraucher aus und lösten eine Reihe von Gesundheitsbeeinträchtigungen wie schmerzhafte Ausschläge, Juckreiz, starke Augenreizungen etc. mit noch ungewissen etwaigen Spätfolgen aus.

Die beiden Möbelketten Argos und Walmsleys sollen nun insgesamt bis zu GBP 20 Mio. Schadenersatz zahlen – die Dritte , Land of Leather, war mittlerweile insolvent geworden und der statt dieser verklagte Versicherer konnte sich nach versicherungsvertragswidrigem Verhalten des Möbelherstellers enthaften. Opfer dieser Entwicklung sind mehr als 300 Geschädigte, die leer ausgehen.

Gebrauch und Herstellung von DMF sind in der EU bereits seit 1998 verboten; der Import hingegen war bis zum 1. Mai 2009 erlaubt. Weitere 3.000 Fälle sind derzeit noch anhängig, insgesamt könnten bis zu 50.000 britische Haushalte betroffen sein. Viele der toxischen Sofas sind noch in Gebrauch.

Schmerzensgeldanspruch des Mieters wegen Asbest;

LG Dresden - AG Dresden
25.2.2011
4 S 73/10

Asbestbelastung einer Mietwohnung: Rückzahlung von Mieten als Schadensersatz; Aufhebung der Gebrauchstauglichkeit; Schmerzensgeldanspruch des Mieters; Mitverschulden bei Verdachtsäußerung

1. Der Mieter hat keinen Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung gezahlter Mieten wegen der Missachtung von Asbestschutzvorschriften durch den Vermieter, denn die gezahlte Miete stellt keinen kausal auf die Pflichtverletzung rückführbaren Schaden dar, weil die Miete ohne Pflichtverletzung ebenfalls hätte gezahlt werden müssen.

2. Die Asbestbelastung einer Wohnung mit sichtbaren Ablagerungen von Asbeststaub führt zu einer vollständigen Aufhebung der Gebrauchstauglichkeit als Wohnstätte.

3. Dem Mieter steht gegen den grob fahrlässig untätigen Vermieter ein angemessenes Schmerzensgeld (hier: 20.000 Euro) zu, weil die Asbestexposition eine Risikoerhöhung asbestbedingter Krankheitsbilder begründet und deshalb mit Blick auf die Dauer der Schadstoffexposition von einer psychischen Beeinträchtigung des Mieters mit Krankheitswert auszugehen ist (hier: im Zeitraum von November 1990 bis Juni 2004).

4. Ein Mitverschulden des Mieters liegt nicht deshalb vor, weil er einmal in einem Schreiben einen Verdacht geäußert hat. Denn daraufhin hätte der Vermieter, der den Gebrauch einer mangelfreien Wohnung schuldet, tätig werden müssen. Eine Kenntnis des Mieters kann erst nach Vorlage eines Sachverständigengutachtens angenommen werden.

BGB § 253, § 254 Abs 1, § 536, § 823 Abs 1, § 823 Abs 2

BGH : Medizinisch notwendige Heilbehandlung, Erstattungsfähigkeit

BGH, Urteil vom 10.07.1996 - Aktenzeichen IV ZR 133/95
(Vorinstanz: OLG Celle) (Vorinstanz: LG Lüneburg)




Medizinisch notwendige Heilbehandlung bei unheilbaren Krankheiten


»Zur Frage der medizinisch notwendigen Heilbehandlung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 76 bei unheilbaren Krankheiten.«



2. Der Begriff der medizinisch notwendigen "Heil-"behandlung wird auch vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht so verstanden, daß Versicherungsfall nur die auf Heilung abzielende Behandlung ist (BGHZ 123, 83, 89). Der Inbegriff der Heilbehandlung ist nicht nur von den Resultaten, sondern auch von der Zweckbestimmung ärztlichen Handelns her zu bestimmen (Bach/Moser, Private Krankenversicherung 2. Aufl. MB/KK § 1 Rdn. 12). Als Heilbehandlung ist jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung, Besserung oder auch Linderung der Krankheit abzielt. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleichzuachten, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist. Dabei sind die Begriffe "ärztliche Leistung" und "medizinische Krankenpflege" in einem weiten Sinne zu verstehen (BGHZ 99, 228, 231; vgl. auch BGHZ 123, 83, 89).

Das Berufungsgericht hat sich bei seinen Erwägungen zwar nicht ausdrücklich mit dem Begriff der Heilbehandlung und damit befaßt, ob es sich bei der Autovakzinationstherapie um Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 handelte. Seiner Entscheidung kann aber entnommen werden, daß es einen Anspruch auf Versicherungsleistungen nicht deshalb hat verneinen wollen, weil diese Therapie schon nicht die Voraussetzungen einer Heilbehandlung erfülle. Daß diese Voraussetzung eines Leistungsanspruchs gegeben war, ergibt sich hier nämlich schon daraus, daß die ärztliche Leistung unstreitig jedenfalls darauf abzielte, die Symptome der HIV-Erkrankung zu lindern, den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers zu stabilisieren, also einer Verschlimmerung der Erkrankung entgegenzuwirken.


Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Durchführung dieser Therapie geeignet war, diese Ziele auch zu erreichen, kommt es für das Vorliegen einer Heilbehandlung im Sinne der Klausel nicht an; ihr kommt Bedeutung vielmehr erst bei der Prüfung zu, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 anzusehen ist.
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3. Dafür ist ein objektiver Maßstab anzulegen.

a) Mit dem Begriff "medizinisch notwendige" Heilbehandlung wird - auch für den Versicherungsnehmer erkennbar - nicht an den Vertrag zwischen dem Versicherungsnehmer und dem behandelnden Arzt und die nach diesem Vertrag geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Es wird vielmehr zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt (Senatsurteil vom 14. Dezember 1977 - IV ZR 12/76 - VersR 1978, 271 unter II, 1). ..........

b) Auch das Berufungsgericht hat diese Auslegung bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Allerdings stellt es bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung darauf ab, ob es nach den objektiven Befunden und "wissenschaftlichen" Erkenntnissen vertretbar war, die Behandlung als medizinisch notwendig anzusehen. Diese Beschränkung auf "wissenschaftliche Erkenntnisse" könnte dahin zu verstehen sein, daß bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Heilbehandlung nur solche Erkenntnisse berücksichtigt werden dürften, die in der medizinischen Wissenschaft - also im Bereich von Forschung und Lehre an wissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten - eine Absicherung erfahren haben, dort als wissenschaftlich gesichert oder anerkannt angesehen werden. Für eine Einschränkung in diesem Sinne ergeben Wortlaut und Sinn des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 aber keine ausreichende Stütze. Sie kann auch nicht durch einen Rückgriff auf § 5 Abs. 1 Buchst. f MB/KK 76 gerechtfertigt werden, denn diese Klausel ist unwirksam (BGHZ 123, 83 ff.). Bei Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung können demgemäß auch solche medizinischen Erkenntnisse berücksichtigt werden, die sich im Bereich der sogenannten alternativen Medizin ergeben haben oder sich als das Ergebnis der Anwendung von sogenannten "Außenseitermethoden" darstellen.


4. Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung im Sinne der vorstehenden Ausführungen wird im allgemeinen dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken (vgl. BGHZ 99, 228, 233 f.). Steht diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen fest, steht grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers fest.


Bei einer solchen Sachlage, bei der es selbst für eine auf Verhinderung einer Verschlimmerung der Krankheit abzielende Heilbehandlung keine in der Praxis angewandte Behandlungsmethode gibt, bei der nach medizinischen Erkenntnissen davon ausgegangen werden kann, daß sie zur Herbeiführung wenigstens dieses Behandlungszieles geeignet ist, kommt jeder gleichwohl durchgeführten Behandlung zwangsläufig Versuchscharakter zu, für die der Nachweis medizinischer "Richtigkeit" nicht geführt werden kann (vgl. zur Behandlung multipler Sklerose, Senatsurteil vom 2. Dezember 1981 - IVa ZR 206/80 - VersR 1982, 285 unter III, 4). Das schließt indessen die Annahme der medizinischen Notwendigkeit einer solchen Behandlung nicht von vornherein aus, dies jedenfalls dann nicht, wenn sie auf eine schwere, lebensbedrohende oder gar lebenszerstörende Krankheit zielt. Ein solcher Ausschluß kann § 1 Abs. 2 MB/KK 76 nicht entnommen werden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird diese Regelung vielmehr dahin verstehen, daß gerade bei einer unheilbaren Krankheit auch eine solche Heilbehandlung noch als notwendige Heilbehandlung anzusehen ist, der zwar Versuchscharakter anhaften mag, die aber jedenfalls - medizinisch begründbar - Aussicht auf Heilung oder Linderung verspricht.


c) Schließlich kann nach den Erwägungen des Berufungsgerichts nicht ausgeschlossen werden, daß es zu hohe Anforderungen daran gestellt hat, was bei Behandlung einer unheilbaren Erkrankung, für die es bisher eine wenigstens die Verhinderung einer Verschlimmerung bewirkende Heilbehandlung nicht gibt, als objektiv vertretbare Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 angesehen werden kann (vgl. oben unter II, 4). Entgegen seiner Auffassung kann nicht nur eine solche Behandlung als notwendig angesehen werden, von der bereits feststeht, daß sie im Sinne des Behandlungsziels auf das Krankheitsbild einwirkt, die sich also als "geeignet" erwiesen hat. Vielmehr reicht es aus, wenn sie im maßgeblichen Zeitpunkt als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf die Verhinderung einer Verschlimmerung der Erkrankung oder auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Ob diese Voraussetzung im vorliegenden Falle gegeben war, bedarf nach Feststellung des für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkts und der für diesen Zeitpunkt maßgeblichen Befunde und Erkenntnisse gegebenenfalls weiterer sachverständiger Aufklärung.