Beweisrecht: Befangenheit des Gerichtsgutachters

Ablehnung einer Begleitperson bei gutachterlicher Untersuchung

LSG Rheinland-Pfalz v. 23.02.2006; L 4 B 33/06 SB

Der Grundsatz des Anspruches auf ein faires Verfahren verpflichtet den Richter, wie den Sachverständigen, zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation. Ein genereller Ausschluss von Vertrauenspersonen des zu Untersuchenden , seien es der Ehepartner oder der Anwalt, dürfte weder dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit noch dem des fairen Verfahrens entsprechen. Die Beweisaufnahme durch einen ärztlichen Sachverständigen greift tief in die Menschenwürde und das Persönlichkeitsrecht des zu Untersuchenden ein, weshalb dessen Begleitung - selbst aus unsachlichen Gründen - bei der Untersuchung gerechtfertigt sein kann. Dann mag der Sachverständige die Untersuchung ablehnen, wenn er hierfür sachliche Argumente hat. Der Hinweis auf die Störung des " notwendige Vertrauensverhältnis" und auf die "Unmöglichkeit einer ordnungsgemäßen Begutachtung" reicht hierfür nicht. Ein solcher Hinweis rechtfertigt vielmehr das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen und dessen Ausschluss.
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Befangenheitsrechtsprechung

Gründe für die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen

Über eine Ablehnung hat das OLG Köln entschieden (Beschl. v. 26.07.2007 – 2 W 58/07, SV 2008, 272. Ein im Zivilprozess Beklagter hatte seine Ablehnung auf die ungewöhnlich schnelle Erstellung eines umfangreichen fachpsychiatrischen Gutachtens gestützt, was die Klageseite bevorzugt habe. Das OLG Köln sah darin nicht einmal „ansatzweise“ einen Ablehnungsgrund, zumal der Sachverständige diese zügige Erstellung seines Gutachtens mit einer geringen anderweitigen Arbeitsbelastung erklärt hatte.

Das KG (Oberlandesgericht in Berlin) hat mit Beschluss vom 6.9.2007 – 12 W 52/07, DS 2008, 277 = MDR 2008, 528 die Ablehnung eines medizinischen Gutachters für begründet erklärt, der auf den Vorhalt eines Rechtsanwalts („Soweit der Sachverständige außerhalb seines Fachgebiets Unfallfolgen annimmt, ist das Gutachten ohne jeden Beweiswert“) unsachlich reagiert hatte („Unverschämtheit; völlig absurd und inkompetent“). Dass der Anwalt als Parteivertreter einem Sachverständigen kritische Vorhalte macht, ist keine Unverschämtheit, sondern seine Pflicht.

Das OLG Saarbrücken (Beschluss v. 11.03.2008 –5 W 42/08-16, MDR 2008, 1121) hat einem Ablehnungsgesuch stattgegeben, weil der Gerichtsgutachter seinen Gutachtensauftrag durch eine Beweiswürdigung von Zeugenaussagen überschritten und Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hatte, die ihm nicht vorgegeben waren. Im Fall hatte der Gerichtsgutachter zusätzlich die gebotene Zurückhaltung in der Wortwahl vermissen lassen, als er sich mit einem Privatgutachten auseinandergesetzt hatte. Die dabei verächtlich herablassenden Ausführungen hat das OLG Saarbrücken zutreffend als eine Verletzung der gebotenen Sachlichkeit gewertet.

In einem weiteren Ablehnungsverfahren hat das OLG Saarbrücken (Beschluss vom 30.1.2008 – 5 W 318/07, DS 2008, 267) eigene Ermittlungen des Gerichtsgutachters zu Fahrzeugkenndaten nicht als Überschreitung des Gerichtsauftrags angesehen, weil ein Herkunftszertifikat unstreitig nicht vorhanden gewesen sei. Das Ablehnungsgesuch wurde deshalb – so das OLG – vom Landgericht zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.

OLG Saarbrücken, 5 W 276/06-82 - MedR 2007, 484
Im Prozess ist die Ablehnung eines Sachverständigen erfolgreich, wenn dieser wegen entsprechender Bemerkungen gleichsam eine kollegiale Tendenz erkennen lässt.


OLG München, Beschluss vom 04.07.2005, Az. 1 W 1010/05

Mehrere Tatsachen, die für sich betrachtet die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen (noch) nicht rechtfertigen, können bei der Gesamtschau Anlass geben, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln (hier: mehrere Ungenauigkeiten bei der Sachverhaltsfeststellung zu Lasten einer Partei und moralische Wertungen, die sich aus der Diktion ergeben).

ZPO § 406

ZPO § 406 , § 42
Leitsätze:
Für eine Besorgnis der Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteilich ist oder ob das Gericht selbst Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen hat. Schon der erweckte Anschein der Parteilichkeit rechtfertigt die Ablehnung. Entscheidend ist, ob vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen (hier: Ablehnung des Sachverständigen wegen Ortsbesichtigung bei einer Partei ohne vorherige Unterrichtung der Gegenpartei).
Hinweise:
Ebenso OLG Hamburg, MDR 1969, 489 und OLG München, OLGZ 1983, 55 = Rpfleger 1983, 319; teilweise aA. für Wirtschaftsprüfer, betreffend ergänzend eingeholter mündlicher Erläuterungen: OLG Düsseldorf, DRsp
IV(415)186d = DB 1986, 1118 = NJW-RR 1986, 740
Einzelfälle:
Befangenheit bejaht (+), Befangenheit verneint (-)
a. Fehler während des Verfahrens
· Wenn Sachverständiger fachlichen Berater der Gegenpartei zum Ortstermin nicht zuläßt (+)
OLG Düsseldorf, MDR 1971, 489
· Wenn Sachverständiger die Beweisfrage nicht beantwortet mit der Erwägung, sie sei nicht entscheidungserheblich (+)
OLG, Köln, NJW-RR 1987, 1198
· Bei einseitiger Würdigung von Parteivortrag (+)
LG Dortmund, MDR 1993, 110
· Bei Verstoß gegen richterliche Weisungen oder Überschreitung erteilter Befugnisse (§ 404a ZPO) (+)
Thomas/Putzo, Anm. 1 b. aa.
· Bei Verwertung von Informationen oder Material, das sich der Sachverständige von einer Partei ohne Wissen der anderen Partei verschafft hat (+)
OLG Oldenburg, MDR 1978, 1028; OLG Düsseldorf, BB, 1972, 1248; OLG Koblenz, MDR 1978, 148; teilweise aA.
OLG Düsseldorf, DRsp IV(415)186d = DB 1986, 1018 = NJW-RR 1986, 740; für Unvereinbarkeit schlechthin:
BGH, NJW 1992, 1817

b. In der Person des Sachverständigen liegende Gründe
· Bei vorheriger Erstattung eines Privatgutachtens für eine Partei bzw. für eine Haftpflicht-versicherung (+)
· Wiederholtes früheres Tätigwerden als Privatgutachter für eine Partei (+)
OLG Karlsruhe, DRsp IV(415)186c = BauR 1987, 599 ; aA.: OLG Koblenz, DRsp IV(415)214Nr. 2b = NJW-RR 1992, 1470
· Wenn Sachverständiger Angestellter einer Partei ist, auch bei Behörden-Angestellten (+)
OLG München, DRsp IV(415)206c-d = BauR 1990, 117 = MDR 1989, 828 = NJW-RR 1989, 1088
· Bei Konkursverwalter (+)
OLG Köln, DRsp IV(415)207b-c = NJW-RR 1990, 383 = Rpfleger 1990, 88 ; aA. RGZ 64, 30
· Hausarzt einer Partei, (+)
· Bei Schadensersatzklage des Prozeßbevollmächtigten gegen Sachverständigen (+)

OLG Köln, NJW 1992, 762
OLG München, Rpfleger 1980, 303; Zöller/Stephan, § 406 Rdn. 9
· bei Honorarklage (+)
OLG Frankfurt/M., DRsp IV(415)193c = BauR 1988, 633
· Bei früherer wissenschaftlicher Zusammenarbeit z.B. als Doktorand (+)

Welcher Grund ?

Lehnt eine Partei einen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab und weiß sie, dass die Gewinnung des Sachverständigen wegen der Besonderheiten des Falls ungewöhnlich schwierig ist, so kann es die Prozessförderungspflicht ausnahmsweise gebieten, frühzeitig zumutbare Nachforschungen darüber anzustellen, ob ein Ablehnungsgrund in Betracht kommt.
BGH, Beschl. v. 23.09.2008 - X ZR 135/04