Gutachterkommissionsverfahren hemmt Verjährung!

Karlsruhe . Anrufung der Schlichtungsstelle einer Ärztekammer wegen Behandlungsfehlervermutung hemmt die Verjährung . Hierfür ist es nicht erforderlich, dass der Arzt oder seine Haftpflichtversicherung der Schlichtung zustimmt, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Montag, 13. Februar 2017, veröffentlichten Urteil entschied (Az.: VI ZR 239/15).

Schmerzensgeldbeträge nach Verletzungsart (Rechtsanwalt Hans-Peter Herrmann, Fachanwalt für Medizinrecht)

Rechtsprechung zur Arzthaftung:

Patient muss bei und über Alternativen umfassend aufgeklärt sein

Eingriff des Arztes ist rechtswidrig, da die Einwilligung der Patientin in die Operation mangels ausreichender Selbstbestimmungsaufklärung nicht wirksam war
Pfälzisches OLG Zweibrücken, vom 23.01.2007, Az. 5 U 35/05
Es ist Nebenpflicht des Arztes aus dem Behandlungsvertrag, den Patienten über das Bestehen echter Behandlungsalternativen umfassend aufzuklären. Stehen für den Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zur Verfügung, mit denen wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen verbunden sind, hat der Arzt diese darzulegen und dem Patienten die Wahl der Methode zu überlassen.
GG Art. 2, BGB § 242 Abs. 2, BGB § 290, BGB 611, BGB § 823 Abs. 1

Auch im Jahr 2008 wird diese Rechtsprechung vom BGH weiter fortgesetzt.Im Beschluss vom 04.03.2008 - VI ZR 238/07- bestätigt der BGH, dass bei mehreren "üblichen" Behandlungsmethoden eine Aufklärungspflicht zu den Alternativen besteht.

Allerdings besteht ein Schmerzensgeldanspruch nicht schon alleine wegen der verletzten Aufklärungspflicht, auch wenn hierdurch der Eingriff rechtswidrig ist. Ein solcher Anspruch besteht nur, wenn auch ein Gesundheitsschaden verursacht wurde (BGH, Beschluss v. 28.03.2008 - VI ZR 57/07).
Schaden bei voll beherrschbarem Behandlungsgeschehen; Beweislastumkehr bei Schmerzensgeldanspruch wegen Darmverletzung bei einer Einlaufbehandlung (Klysma) im Klinikum
Pfälzisches OLG Zweibrücken, Urteil vom 16.01.2007, Az. 5 U 48/06


Die Verabreichung eines Klysmas unterliegt grundsätzlich dem Bereich des voll beherrschbaren Behandlungsgeschehens. Bei einer dabei erfolgten Verletzung der Darmwand ist deshalb nicht der Patient gehalten, einen Behandlungsfehler nachzuweisen. Es obliegt vielmehr der Behandlungsseite, sich zu entlasten.
BGB § 253 Abs. 2, BGB § 275, BGB § 278, BGB § 280 Abs. 1, BGB § 282, BGB 823 Abs. 1

BGH VI ZR 63/11

1. Besteht die Pflichtverletzung in einer Unterlassung, ist diese für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt regelmäßig der Geschädigte.
2. Die haftungsbegrenzende Rechtsfigur des hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten kommt erst dann zum Tragen, wenn die Ursächlichkeit der durchgeführten rechtswidrigen Behandlung für den behaupteten Schaden festgestellt und mithin die Haftung grundsätzlich gegeben ist.

Aus dem Urteil:
Der Beweis, dass der ohne rechtswirksame Einwilligung vorgenommene ärztliche Eingriff bei dem Patienten auch zu einem Schaden geführt hat, ist ebenso wie im Fall des Behandlungsfehlers Sache des Patienten. Es besteht kein Sachgrund, bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht den Arzt insoweit beweismäßig schlechter zu stellen. Dieser Grundsatz gilt sowohl bei der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht über die Risiken eines Eingriffs wie auch über bestehende Behandlungsalternativen (Selbstbestimmungsaufklärung). Der Patient hat nicht nur in den Fällen, in denen die rechtswidrige Behandlung in einem Eingriff, beispielsweise in einer Operation, liegt, sondern auch in den Fällen der rechtswidrigen Fortsetzung konservativer Behandlungsmethoden trotz Bestehens gleichwertiger Behandlungsalternativen zu beweisen, dass die bei ihm vorgenommene Behandlung ursächlich für den geltend gemachten Schaden geworden ist.

Umkehr der Beweislast bei einfachem Befunderhebungsfehler

BGH-Urteil vom 13.09.2011.VI ZR 144/10
Ein einfacher Befunderhebungsfehler kann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde.

Ebenso BGH v. 7.6.2011, VI ZR 87/10: Bei einem einfachen Befunderhebungsfehler kommt eine Beweislastumkehr für die Frage des Ursachenzusammenhangs mit dem tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden auch dann in Betracht, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde, und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen.
Hingegen ist nicht Voraussetzung für die Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten, dass die Verkennung des Befundes und das Unterlassen der gebotenen Therapie völlig unverständlich sind (Senatsurteil vom 29. September 2009, VI ZR 251/08, VersR 2010, 115 zum groben Befunderhebungsfehler).

Rechtsschutzversicherung darf nicht blockieren: Keine übertriebenen Anforderungen an den Klagevortrag !

OLG Celle, Urteil vom 18.01.2007- Aktenzeichen 8 U 198/06
(Vorinstanz: LG Hannover 04.08.2006 8 O 68/06 )


Umfang der Informationsobliegenheit des Versicherungsnehmers gegenüber der Rechtsschutzversicherung bei zugrunde liegendem Behandlungsfehlerverdacht


»1. Der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung genügt seiner Informationsobliegenheit nach § 17 Abs. 3 ARB 94 in einem zugrunde liegenden Arzthaftungsprozess, wenn er sich auf einen Vortrag beschränkt, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet. Die geringere Substantiierungspflicht des Patienten im Arzthaftungsprozess wirkt sich entsprechend auf die Informationsobliegenheit gegenüber dem Rechtsschutzversicherer aus. Behandlungsunterlagen müssen erst auf Verlangen des Versicherers vorgelegt werden. Der Versicherungsnehmer muss auch keine ärztlichen Gutachten oder Stellungnahmen vorlegen, aus denen sich die behauptete Fehlerhaftigkeit der ärztlichen Behandlung und ihre Kausalität für die Verletzung ergeben.


VVG § 6 Abs. 3 ; ARB 94 § 17 Abs. 3 ; ARB 94 § 17 Abs. 4 ; ARB 94 § 17 Abs. 5 ;

Toilettensturz im Krankenhaus voll beherrschbar

KG, Beschluss vom 10.09.2007, Az. 12 U 145/06: Da bei einem Sturz Pflegepersonal zugegen war und die Vermeidung eines derartigen Sturzes beim Toilettengang haftungsrechtlich ein voll beherrschbares Risiko darstellt, sind die Grundsätze über die Beweislastumkehr anwendbar. Damit obliegt es der Beklagten, sich nach § 282 BGB a.F. von der Annahme zu entlasten, der bei der Zeugin P.… eingetretene Gesundheitsschaden, der zu dem hier geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden geführt hat, sei auf ein Verschulden des Pflegepersonals zurückzuführen.

"Simulant" gestorben

Bund muss nach Tod eines als Simulant eingestuften Patienten zahlen


07.04.2008

Koblenz (nach AP) Die Bundesrepublik Deutschland muss den Kindern eines als Simulant eingestuften Krankenhauspatienten 15.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Das Oberlandesgericht Koblenz berichtete am Montag , dass der Mann im September 2001 gestorben sei, nachdem Ärzte im Koblenzer Bundeswehrzentralkrankenhaus ein Magengeschwür übersehen hatten. Die Ärzte hätten die geklagten Magen- und Rückenschmerzen mit «psychischen Problemen» abgetan .
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass sich die behandelnden Ärzte fahrlässig verhalten hatten. Sie hätten in dem vorliegenden Fall einen Facharzt hinzuziehen müssen. Der wenige Tage später verstorbene Patient hatte sich wegen einer Herzoperation im Bundeswehrzentralkrankenhaus aufgehalten.
(Aktenzeichen: Oberlandesgericht Koblenz 5 U 1508/07, Landgericht Koblenz 10 O 103/04

Diagnosefehler, Unterlassene Befunderhebung

BGH VI ZR 304/02 Vom 8. Juli 2003 Die Frage nach einem ärztlichen Fehlverhalten kann sich jedoch auch stellen, wenn der behandelnde Arzt ohne vorwerfbare Fehlinterpretation von Befunden eine objektiv unrichtige Diagnose stellt und diese darauf beruht, dass der Arzt eine notwendige Befunderhebung entweder vor der Diagnosestellung oder zur erforderlichen Überprüfung der Diagnose unterlassen hat. Ein solcher Fehler in der Befunderhebung kann zur Folge haben, dass der behandelnde Arzt oder der Klinikträger für eine daraus folgende objektiv falsche Diagnose und für eine der tatsächlich vorhandenen Krankheit nicht gerecht werdende Behandlung und deren Folgen einzustehen hat (vgl. zum Beispiel Senatsurteile BGHZ 138, 1, 5 ff. und vom 3. November 1998 – VI ZR 253/97 – VersR 1999, 231, 232 – jeweils m.w.N.).

Primärschaden/ weiterer Schaden:

BGH VI ZR 221/06 Verkündet am: 12. Februar 2008:
Wenn ein Morbus Sudeck nach dem Klagevortrag infolge einer ärztlichen Fehlbehandlung und der damit hervorgerufenen Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten ist, behauptet der Kläger insoweit einen Sekundärschaden. Für den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen der Fehlbehandlung und dem Morbus Sudeck gilt in diesem Fall der Maßstab des § 287 ZPO (= überwiegende Wahrscheinlichkeit-
Abgrenzung zum Senatsurteil vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03 - VersR 2004, 118). Vorliegend ist dem Beklagten eine Fehlinterpretation des erhobenen Befundes unterlaufen. Die Fraktur des linken Zeigefingerendglieds war auf dem von ihm angefertigten Röntgenbild nämlich zu erkennen. Das Nichterkennen dieses Bruchs stellt sich demnach als Diagnosefehler dar, und zwar auch dann, wenn das Röntgenbild, wie die Revision geltend macht, vierfach hätte vergrößert werden müssen (dazu unten unter 3 b, bb). 2. Als nicht frei von Rechtsfehlern erweisen sich jedoch die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Ursächlichkeit der Fehlbehandlung durch den Beklagten für den Gesundheitsschaden des Klägers verneint hat. Die Revision macht mit Recht geltend, bei der Beurteilung der Kausalität habe das Berufungsgericht ein zu strenges Beweismaß angelegt.
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Dabei ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu unterscheiden. Erstere betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutverletzung als solche, also für den Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit verlangt (BGHZ 53, 245, 255 f.; Senatsurteile vom 9. Mai 1989 - VI ZR 268/88 - VersR 1989, 758, 759 und vom 18. Januar 2000 - VI ZR 375/98 - VersR 2000, 503, 505; BGH, Urteil vom 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - NJW 1993, 935, 937).

Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und damit der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für alle weiteren (Folge-)Schäden einschließlich der Frage einer fehlerbedingten Verschlimmerung von Vorschäden richtet sich hingegen nach § 287 ZPO; hier kann zur Überzeugungsbildung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen (Senatsurteile vom 24. Juni 1986 - VI ZR 21/85 - VersR 1986, 1121, 1122 f.; vom 21. Oktober 1987 - VI ZR 15/85 - VersR 1987, 310; vom 22. September 1992 - VI ZR 293/91 - VersR 1993, 55 f. und vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98 - VersR 1998, 1153, 1154).


Primärschaden des Klägers, d.h. die durch den Behandlungsfehler im Sinne haftungsbegründender Kausalität hervorgerufene Körperverletzung, ist die durch die unterbliebene Ruhigstellung und damit unsachgemäße Behandlung der Fraktur eingetretene gesundheitliche Befindlichkeit.

Welche weiteren Schäden sich hieraus entwickelt haben, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. .......